Vor 30 Jahren ist die Fichenaffäre aufgeflogen.
Über 900'000 Menschen wurden überwacht.
Wie konnte das passieren?

Trailer

Episode 1

Landes
streik

Der Landesstreik war ein Generalstreik in der Schweiz, der vom 12. bis 14. November 1918 dauerte. Rund 250'000 Arbeiter und Gewerkschafter nahmen teil.
Prof. Dr. Brigitte Studer zum Landesstreik

Generalstreik 1918

Schutz vor
Umsturz

Der Schweizerische Vaterländische Verband (SVV) entstand im April 1919 als Zusammenschluss von während des Landesstreiks gebildeten paramilitärischen Bürgerwehren und anderen konservativ-militärischen Bünden. Er war ein privater, rechtsbürgerlicher Verein mit dem Ziel, die verfassungsmässige Sicherheit, Ruhe und Ordnung zu bewahren und einen sozialistischen Umsturzes abzuwenden.

Der SVV vertrat eine restriktive Ausländer- und Asylpolitik. Er versuchte die Wahl von Sozialdemokraten in wichtige Ämter zu verhindern und distanzierte sich grundsätzlich nicht von rechtsradikalen Strömungen im Ausland.

Weil die Verbandsleitung Polizeibeamte bestochen hatte, wurde der SVV 1948 auf nationaler Ebene aufgelöst. Einige Sektionen existierten aber weiterhin auf kantonaler Ebene.

KOMMUNISMUS IN DER SCHWEIZ

Kommunismus ist eine politische Bewegung und eine Weltanschauung. Kern der Ideologie ist der Aufbau einer herrschaftsfreien, klassenlosen Gesellschaft und sozialer Gleichheit ohne Privateigentum.

Die Kommunistische Partei der Schweiz wurde 1921 gegründet. Die KPS war Mitglied der Kommunistischen Internationale, einem internationalen Zusammenschluss kommunistischer Parteien, gegründet in Moskau. So geriet sie unter den Einfluss der Sowjetunion.

1940 verbot der Bundesrat der KPS jede Tätigkeit und erklärte sie für aufgelöst. Die kommunistische Partei fusionierte 1943 mit der Sozialistischen Föderation der Schweiz zur Partei der Arbeit (PdA), welche bis heute aktiv ist.
Prof. Dr. Brigitte Studer zur PDA

SCHWEIZERISCHE AUFKLÄRUNGSDIENST

1947 wurde der Schweizerische Aufklärungsdienst (SAD) in Zürich gegründet. Finanzielle Unterstützung erhielt er von Bund, Kantonen und Unternehmen. Der Schweizerische Aufklärungsdienst wurde zur bedeutendsten Organisation der antikommunistisch ausgerichteten Geistigen Landesverteidigung. Im Visier standen vor allem die Sowjetunion und das kommunistische Osteuropa , im Innern die Partei der Arbeit, später auch die Neue Linke.

KALTER
KRIEG

Der Kalte Krieg bezeichnet die spannungsreiche Konfrontation der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs nach 1945. Gegner waren die kapitalistischen Westmächte unter der Führung der Vereinigten Staaten und der sogenannte Ostblock unter Führung der kommunistischen Sowjetunion. In der Nachkriegszeit traten die unterschiedlichen Ziele der Supermächte bei der Neuordnung der Welt hervor und führten zur Teilung Europas in zwei feindliche Machtblöcke.

Während des Kalten Krieges fühlte die Schweiz sich durch die Sowjetunion bedroht, obwohl sie eine strikte Neutralität zwischen den Blöcken praktizierte. Wirtschaftlich, politisch und kulturell fühlte sie sich dem Westen zugehörig.

Durch militärische und atomare Aufrüstungen stieg die Angst vor einem “heissen”, wahrhaftigen Krieg. Dieser brach zwar nie in diesem Masse aus, äusserte sich aber in zahlreichen Stellvertreterkriegen im afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen Raum.

Als die Konfliktführenden mit atomarer Aufrüstung starteten, begann auch die Schweiz mit der Planung einer eigenen Atombombe. Zum Schutz wurden bis heute über 300'000 Personenschutzräume und mehr als 5'000 öffentliche Schutzanlagen erbaut. Somit gibt es in der Schweiz im Notfall für mehr als 100% der Bevölkerung einen sicheren Platz. Dies ist in keinem anderen Land der Fall.

Als Ende des Kalten Krieges gilt im Allgemeinen 1991 mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion.


Protagonisten

Profilbild Prof. Dr. Brigitte Studer

Prof. Dr.
Brigitte Studer

Prof. Dr. Studer ist Professorin für Schweizer und Neueste Allgemeine Geschichte an der Universität Bern. Durch ihre Aufarbeitung der Geschichte der schweizerischen Kommunistischen Partei und der Komintern gilt sie als Kommunismus-Expertin.

Profilbild Hans Naef

Hans
Naef

Hans Naef kennt als langjähriger Präsident der FDP Uzwil und ehemaliger Kantonsrat die Gründe dafür, wieso die Politische Rechte dem Schweizer Volk misstraute. Durch seinen Beruf in der Personalabteilung bei Bühler AG und als Oberst bei der Schweizer Armee machte er Bekanntschaft mit Ernst Cincera und dessen Ideologien.

Profilbild Niklaus Scherr

Niklaus
Scherr

Niklaus Scherr ist ein Politiker der Alternativen Liste (AL). In seiner Zeit als Journalist und politisch aktiver Linker schaffte er es in den 1970er Jahren auf die Liste der schweizer Staatsfeinde.

Als Verfasser des PUK-Berichts „Politische Polizei in der Stadt Zürich“, setzte er sich intensiv mit dem Fichenskandal in Zürich auseinander.

Episode 2

ERNST
CINCERA

Ernst Cincera war ein FDP Politiker, der in den 1970er Jahren ein eigenes Spitzelnetz in Bern und Zürich aufgebaut hatte. Ihm war jeder, der politisch Links war, suspekt. Seine Informanten waren überwiegend Studenten und (minderjährige) GymnasiastInnen, die in ihrer Freizeit linksorientierte Parteien und Organisationen infiltrierten. Sie überlieferten Cincera die Namen der Beteiligten, Daten für weitere Treffen, Reisen und andere Aktionen.

Ernst Cincera
Ernst Cincera

1972 gründete Ernst Cincera die “Informationsgruppe Schweiz” deren Mitglieder aus Interessenten der Wirtschaft, Politik und Verwaltung bestanden. Diesen wurden alle Informationen, die Cinceras “Spitzel” zusammengetragen hatten, zur Verfügung gestellt. So wollte Cincera verhindern, dass “gefährliche” Stellenbewerber ein Job bekamen. So beeinträchtigte er die berufliche Laufbahn vieler Menschen. 1977 drangen Mitglieder des «Demokratischen Manifests» in die Räumlichkeiten von Ernst Cincera ein und klauten Akten von rund 3500 Privatpersonen, die sie später veröffentlichten. Die schweizer Medien berichteten noch Wochen später von der “Cincera-Affäre”, während Cincera seine Tätigkeiten trotz drückender Beweislast verleugnete.

KOPP
AFFÄRE

Am 31. Januar 1989 wird eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) beauftragt, dem Vorwurf der Amtsgeheimnisverletzung nachzugehen, nachdem Justizministerin Elisabeth Kopp ein verdächtiges Gespräch mit ihrem Mann geführte hatte. Kopp wollte ihren Mann vor der Strafuntersuchung seiner Firma warnen, bei der er Vize-Verwaltungspräsident war. Die Untersuchung des Ministeriums und der Geheimdienste führte dazu, dass unzählige Akten gefunden wurden.

PUK
BERICHT

Am 22. November 1989 offenbarte der 228-seitige Bericht über die «Vorkommnisse im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement» der PUK das Ausmass ihres Fundes. Die Schnüffelpolizei hatte 900'000 Karteikarten, die sogenannten Fichen, und dazugehörige Dossiers über Personen und Organisationen, geführt. Diese Akten wurden an ausländische Geheimdienste, an andere Amtsstellen und an Arbeitgeber weitergeben.

SPITZEL UND
FICHIERTE

Zu Beginn wurden hauptsächlich LinksaktivistInnen überwacht, später folgten unter anderem AusländerInnen, GewerkschaftlerInnen, SchriftstellerInnen, FemministInnen, Jura-SeperatistInnen und Menschenrechtsvereinigungen wie z.B. Amnesty International. Diese Akten wurden an ausländische Geheimdienste, an andere Amtsstellen und an Arbeitgeber weitergegeben. Einen Einblick in die Hirarchie der Bundespolizei gibt Niklaus Scherr:
Niklaus Scherr zur Hierarchie der BUPO

RON
GANZFRIED

Ron Ganzfried war in seiner Jugend für kurze Zeit ein Spitzel für Ernst Cincera in der Stadt Bern. Jedoch merkte er bereits knapp ein Jahr später, dass das was er tat nicht richtig war und die “kommunistischen Linken” recht hatten. So wechselte er die Seite, setzte sich politisch ein und wurde dann schlussendlich selber überwacht. Seine Spitzeltätigkeiten wurden nicht aufgedeckt. Erst als Cincera aufflog und abstritt, Ron und seine Kollegen als Spitzel angeheuert gehabt zu haben, wollte Ron reinen Tisch machen. Er ging mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit. Wie dies genau ablief, ist hier zu hören:
Ron Ganzfried zum Cinceraskandal


Protagonisten

Profilbild Ron Ganzfried

Ron
Ganzfried

Ron Ganzfried war in seiner Jugend für kurze Zeit ein Spitzel für Ernst Cincera in der Stadt Bern. Er wechselte jedoch die Seite, setzte sich politisch ein und wurde dann schlussendlich selber überwacht.

Profilbild Jean-Michel Berthoud

Jean-Michel
Berthoud

Jean-Michel Berthoud ist ein Redaktor/Journalist in Zürich. Weil er sich “unschweizerisch” verhielt und sich linkspolitisch engagierte, wurde er in den 1970er- und 1980er-Jahren vierzehn Jahre lang fichiert und überwacht.

Profilbild Moritz Leuenberger

Moritz
Leuenberger

Moritz Leuenberger, Ex-Bundesrat und ehemaliger PUK Präsident, leitete die Untersuchungskomission des Bundes in der Fichenaffäre und war in erster Front dabei, als es um um die Aufdeckung des Ausmasses der staatlichen Überwachung ging.

Episode 3

REAKTION AUF DEN FICHEN SKANDAL

Der Fichenskandal löste eine riesen Empörung aus. Insgesamt 300'000 Bürgerinnen und Bürger stellten Anträge zur Einsicht in ihre Fichen. Mit diesem Ausmass an Gesuchen war der Staat regelrecht überfordert. Der Bundesrat reagierte schnell und wollte die Dossiers und Akten weitgehend zerstören.

Der Staatsschutz und die politische Polizei haben eigentlich ohne gesetzliche Grundlage gearbeitet und das geht in unserem Land eigentlich gar nicht.

Catherine Weber

SCHLUSS MIT DEM SCHNÜFFEL STAAT

Gruppe von Leuten
Catherine Weber (m.) im Komitee «Schluss mit dem Schnüffelstaat» mit dem «Fichen Fritz» in der Hand.
(Archivbild: Keystone)

Im Januar 1990 wurde das Komittee «Schluss mit dem Schnüffelstaat» gegründet, um einerseits die Zerstörung der Akten zu verhindern und um andererseits eine Kundgebung vor dem Bundesrat zu ermöglichen. Die Komitee-Zeitung «Fichen Fritz» wurde in einer Auflage von 300'000 Stück in der ganzen Schweiz verteilt. Sowohl der Fichen Fritz als auch der Blick druckten Muster-Einsichtsbriefe in ihren Ausgaben ab.

Am 3. März 1990 demonstrierten 35'000 Personen in Bern. Sie forderten die Abschaffung der Schnüffelpolizei, die Herausgabe aller Akten, sowie die Einsetzung einer zweiten PUK. Der Fichenskandal löste eine riesen Empörung aus. Insgesamt 300'000 Bürgerinnen und Bürger stellten Anträge zur Einsicht in ihre Fichen. Mit diesem Ausmass war der Staat regelrecht überfordert. Der Bundesrat reagierte schnell und wollte die Dossiers und Akten weitgehend zerstören.

«S.O.S – SCHWEIZ OHNE SCHNÜFFEL POLIZEI»

Kurz darauf führte das Komitee die Unterschriftensammlung für die Volksinitiative «S.o.S – Schweiz ohne Schnüffelpolizei» ein. Jedoch verzögerte das Parlament die Abstimmung der Initiative bis 1998.
Am 7. Juni wurde die Volksinitiative mit 75.4% der Stimmen abgelehnt. Ein Grund dafür war das Gesetz von 1997, das «Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit». Es besagt, dass der Staatsschutz nur richtige und für ihn relevante Informationen bearbeiten darf und dass diese Informationen regelmässig überprüft werden müssen. Das bedeutet, dass er weiterhin politische Tätigkeiten überwachen und fichieren darf, sollte ein Verdacht auf Grundrechts-Missbrauch bestehen. Den Staatsschutz komplett abzuschaffen wäre für viele eine zu radikale Entscheidung gewesen und so entschied sich die Schweizer Bevölkerung gegen die Volksinitiative.

DER STAAT FICHIERT WEITER

2010 kam es zu einem neuen Skandal. Es wurden etwa 200'000 Akten von Personen aufgefunden, die unrechtmässig angelegt wurden sind und rechtlichen Bestimmungen nicht einhielten. Es waren hauptsächlich AusländerInnen, die gegen das Gesetz verstossen hatten und in den Augen des Staatschutzes eine “Gefahr” darstellten. Vergleicht man das Ausmass der Empörung von früher mit 2010, viel sie gering aus. Trotz diesem Vorfall stimmten die Schweizer Volk am 25. September 2016 mit 65% der Mehrheit in einer Referendums-Abstimmung für das neue Nachrichtendienstgesetz. Dieses befugt dem Nachrichtendienst, dass er ab sofort legal Handys, Computer und die Internetkommunikation überwachen darf.

2020

Die Gefahr, dass sich die Fichenaffäre wiederholt, haben wir bereits. (…) das Ausmass wissen wir nicht genau.

Margareta Kiener Nellen

Margareta Kiener Nellen, ehemalige SP Nationalrätin, verlangte im Mai 2019 Einsicht in ihre Akte. Was sie für Ergebnisse fand, hört man hier:
Margareta Kiener Nellen


«Der Schweizer Nachrichtendienst geht beim Datensammeln zu weit und verletzt dabei das Gesetz: Zu diesem Schluss kommt die parlamentarische Aufsicht über den Nachrichtendienst, die Geschäftsprüfungsdelegation. In ihrem Jahresbericht ist die Rede von grundlegenden Mängeln.»

SRF Rendez-vous am 30. Januar 2020

Protagonisten

Profilfoto Hans Peter Thür

Hanspeter
Thür

Hanspeter Thür ist Jurist und Politiker. Er war Mitglied der Parlamentarischen Untersuchungskommission PUK und Parteipräsident der Grünen Fraktion von 1991-1994.

Später wurde er zum eidgenössichen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten benannt.

Profilfoto Catherine Weber

Catherine
Weber

Catherine Weber war Sekretärin des Komitees “Schluss mit dem Schnüffelstaat”, welcher ab 1990 die politische Aufarbeitung des Fichenskandals in Angriff nahm. Seit 2006 ist Weber Geschäftsführerin des Vereins Grundrechte Schweiz.

Profilfoto Margareta Kiener Nellen

Margareta
Kiener Nellen

Kiener Nellen ist ehemalige SP Nationalrätin und Präsidentin der ständigen Menschenrechtskommission der OSZE.

Sie stellten im Mai 2019 einen Antrag zur Einsicht in ihre Fichen und musste feststellen, dass ihr Name mit 70 Einträgen in der Datenbank des NDB vermerkt war.

Telefon und Bücher Telefon und Bücher

Das Projekt

Im Rahmen eines Bachelor-Moduls von Cast / Audiovisual Media erhielten wir den Auftrag, ein audiovisuelles Format mit crossmedialem Ansatz zu produzieren. Anlässlich des 30. Jubiläum der Fichen-Affäre bildet dieses dunkle Kapitel der Schweizer Geschichte den Kern des Projektes. Das Ergebnis umfasst eine dreiteilige Web-Dokumentation, digitale Webpräsenz und ein finales Screening. Die Serie legt nicht nur die historischen Details offen, sondern soll auch zur Reflexion über die heutige Situation anregen.
📄 Medieninfo
📎 Presskit